Neues Blitzer-Urteil: Messdaten müssen überprüfbar sein
Ein neues Urteil des Verfassungsgerichtshofes für Baden-Württemberg vom 16.01.2023 stärkt die Rechte von Geblitzten. Diese dürfen Einsicht in die Messdaten verlangen.
Der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) für Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 16.01.2023 einer Verfassungsbeschwerde im Bereich Verkehrsrecht stattgegeben. Ein Autofahrer hatte vergeblich versucht Zugang zu Messdaten zum Messgerät Poliscan Speed zu erhalten. Der Leitsatz des Gerichts lautet wie folgt:
„Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen das Recht auf faires Verfahren in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren durch verwehrten Zugang zu den Reparatur- und Wartungsunterlagen des Messgeräts nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung“
Die Hintergründe zum Urteil
Der Fall hat schon Im Jahr 2016 begonnen: Die Bußgeldstelle des Regierungspräsidiums Karlsruhe beschuldigte einen Autofahrer der Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Bundesautobahn in Baden-Württemberg.
Der Tatvorwurf: der PKW-Fahrer soll die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften bei einem Tempolimit von 120 km/h um 44 km/h überschritten haben.
Die angedrohte Strafe: Eine Geldbuße von 160,00 Euro und ein Fahrverbot von einem Monat. Der Betroffene ging gegen den Bußgeldbescheid vor und legte Einspruch ein.
Einsicht in digitale Falldaten und Rohmessdaten
Bereits nach Erhalt des ersten Behördenschreibens beantrage der Beschwerdeführer Einsicht in die Ermittlungsakte. Unter anderem ging es um den Zugang zu folgenden Daten:
- digitale Falldaten mit den unverschlüsselten Rohmessdaten der gesamten Messserie
- die Token-Datei und das Passwort
- die Lebensakte vom Messgerät Poliscan Speed bzw. die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme
Behörden gewähren keinen Zugang zu Messdaten
Die zentrale Bußgeldstelle für Baden-Württemberg, die zuständig für Verkehrsordnungswidrigkeiten im Bundesland ist, wies darauf hin, dass die Messdaten ohnehin nur von einem Sachverständigen ausgelesen werden könnten. Die Bußgeldakte würde nach entsprechender Legitimierung an einen Gutachter übermittelt werden.
Gutachten: Messabweichung von 11 km/h
Kurz darauf beauftragte der Beschuldigte eine Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung durch ein privates Sachverständigengutachten. Die Bußgeldstelle übermittelte diverse Datensätze. Die „Lebensakte des Blitzers“ also die Wartungs- Instandsetzungs- und Eichnachweise fehlten.
Die mitgelieferten Daten konnten trotzdem untersucht werden. Die Ergebnisse des Gutachtens weisen auf eine deutliche Messabweichung hin.
Die Analyse der Sachverständigen ergab, dass die angezeigte Geschwindigkeit um 11 km/h zu hoch angegeben wurde. Diese Abweichung liege oberhalb einer Messtoleranz von 3 %, die bei Geschwindigkeitsmessungen über 100 km/h gilt.
Darüber hinaus habe der Messbereich, auch als Auswerterahmen bezeichnet, bei 305 der 520 Falldatensätze außerhalb der Bauartzulassung des Messgeräts gelegen. Aus diesem Grund würde kein standardisiertes Messverfahren vorliegen, so die Schlußfolgerung der Gutachter.
Amtsgericht Mannheim lehnte Beschwerde ab
In der Hauptverhandlung am Amtsgericht Mannhein am 22. August 2017 wurde sowohl der Messbeamte als auch der Gutachter als Zeugen vernommen. Der Antrag des Beschwerdeführers:
„die im Falldatensatz der Messung des Betroffenen enthaltenen 126 Einzelwerte mit Laufzeiten und Winkelangaben“ sowie „die Messgeräte-Lebensakte oder, falls eine solche nicht geführt wird, alle […] vorhandenen Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme“
zur Verfügung zu stellen, lehnte das Amtsgericht mit der Begründung ab, dass die Daten zur Beweiserhebung nicht erforderlich sind, um dem Wahrheitsgehalt der Messung auf den Grund gehen zu können. Anders gesprochen: die bereits übergebenen Messdaten sah das Gericht als ausreichend an.
Urteil VerfGH in Stuttgart: Faires Verfahren ermöglichen
Die Richter am Verfassungsgerichtshof haben die Entscheidungen von Amts- und Oberlandesgericht aufgehoben. Die Folge: der Fall muss beim Amtsgericht Mannheim erneut verhandelt werden.
Ein faires Verfahren können nur stattfinden, wenn Behörden und Bürger über den gleichen Informationsstand verfügen. Das bedeutet, dass die Einsicht in Blitzer-Daten ermöglicht werden müssen. (16.01.2023 (Az. 1 VB 38/18))
Weitere Informationen
Weitere aktuelle Urteile und Informationen zu bestimmten Messgeräten, finden Sie hier:
- Bundesverfassungsgericht zu Rohmessdaten bei Blitzern
- Poliscan Speed: Einspruch kann auch 2023 erfolgreich sein
Das ausführliche Gerichtsurteil finden Sie hier als pdf: Verfassungsbeschwerde faires Verfahren bei Geschwindigkeitsüberschreitungen