OLG-Urteil: Vorsatz erst bei Tempoüberschreitung über 40%
Das OLG Zweibrücken hat in einem Fall entschieden, dass eine Überschreitung von 22 km/h nicht zwingend wahrnehmbar ist. Von Vorsatz und doppelter Bestrafung ist abzusehen.
Bei Vorsatz kann das Bußgeld verdoppelt werden
Viele Autofahrer fragen sich, unter welchen Umständen die Behörden von einem Vorsatz bei einer Geschwindigeitsüberschreitung ausgehen. Denn liegt ein Vorsatz vor, wird das besonders kostspielig: das Bußgeld wird verdoppelt.
In unserem Beitrag erfahren Sie, welche Rolle die Höhe der Überschreitung bei der Vorsatzentscheidung spielt und von welchen weiteren Faktoren die Ermessensentscheidung der Bußgeldstelle abhängt.
Dazu haben wir uns einen Beschluss vom Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken vom 11.07.2022 genauer angesehen. Dieser sieht keinen Vorsatz bei niedrigen Geschwindigkeitsüberschreitungen. Bei 40 Prozent sieht das Gericht eine Grenze und geht noch auf weitere Faktoren ein.
Der Fall: Autobahn-Baustelle 22 km/h zu schnell
Im August 2021 fuhr ein Autofahrer auf einer Autobahn in Rheinland-Pfalz durch eine Autobahn-Baustelle. Die Höchstgeschwindigkeit wurde schrittweise heruntergesetzt und betrug an der Messstelle nur noch 60 km/h.
Der Autofahrer wurde mit einer Geschwindigkeit von 85 km/h geblitzt – abzüglich der Messtoleranz von 3 km/h ergab das eine Überschreitung von 22 km/h.
Amtsgericht Kaiserslautern entscheidet auf Vorsatz
Mittlerweile würde für eine Überschreitung von 21 bis 25 km/h außerorts ein Bußgeld von 100 Euro anfallen. Im August 2021 war noch der alte Bußgeldkatalog gültig und die Strafe belief sich auf 70 Euro.
Das Amtsgericht Kaiserslautern sah in der Tat einen Vorsatz und verurteilte den Beschuldigten zu einer doppelten Geldstrafe von 140 Euro.
Das Gericht begründete die Entscheidung so: aufgrund der
- sensorischen Eindrücke,
- des Motorengeräuschs,
- der Fahrzeugvibration und der
- Schnelligkeit der Änderung der Umgebung
habe der Betroffene die Tempoüberschreitung erkannt und diese billigend in Kauf genommen. Der Beschuldigte war mit dem Urteil nicht einverstanden und legte Rechtsbeschwerde ein.
Vorsatz: Geschwindigkeit nicht um 40% überschritten
Das OLG Zweibrücken hob das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern auf. Bei einer Überschreitung von mindestens 40 Prozent der angeordneten Höchstgeschwindigkeit kann davon ausgegangen werden, dass der Betroffene die Überschreitung erkennt und somit ein Vorsatz vorliegt.
Bei einer Überschreitung von 40 Prozent des Tachowertes würden Fahr- und Motorengeräusche stark zunehmen. Außerdem würde die Fahrzeugvibration und die Umgebung sich während der Fahrt so schnell ändern, dass ein Fahrer einschätzen kann die Geschwindigkeitsbegrenzung wesentlich zu überschreiten.
In diesem Fall ist die zugelassene Höchstgeschwindigkeit allerdings nur um circa 37 Prozent überschritten worden. Ein Grenzfall.
Abstand zwischen zugelassener und gefahrener Geschwindigkeit
Das OLG ging in seinem Beschluss noch darauf ein, dass es auch um den Abstand zwischen der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit und dem Tempolimit geht. Als Beispiel führten die Richter an, dass eine Überschreitung von 40 km/h bei einem Tempolimit von 100 km/h (40 Prozent der Vorsatzregel) deutlich wahrnehmbar ist.
Bei einer Übertretung von 22 km/h bei einem Tempolimit von 60 km/h kann nicht vorausgesetzt werden, dass die Überschreitung auch sensorisch wahrnehmbar ist. Insbesondere auf einer Baustelle ist noch mit Fahrunebenheiten zu rechnen, weshalb die wahrnehmbaren Fahrgeräusche insgesamt höher sind.
Vorsatz bei Geschwindigkeit? Am besten prüfen lassen
Wenn Sie von der Bußgeldstelle einen Bußgeldbescheid erhalten haben und Ihnen Vorsatz für Ihre Tempoüberschreitung unterstellt wird, ist es empfehlenswert eine kostenlose Erstberatung bei einem Anwalt für Verkehrsrecht in Anspruch zu nehmen.
Denn es kommt nicht nur darauf an, ob Ihre Überschreitung 40 Prozent über dem Tempolimit lag, sondern auch auf die Umstände.